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Rollenwandel im HR: Ohne Organisationsentwicklung greift Personalmanagement zu kurz

Wie macht sich der Rollenwandel im HR bemerkbar? Die Zeiten, in denen sich Personalist:innen auf ihr ureigenes Fachgebiet zurückziehen und ausschließlich Themen wie Recruiting oder Lohnabrechnung bearbeiten konnten, sind vielerorts vorbei. Zu dynamisch waren die organisationalen Veränderungen der vergangenen Jahre – und zu stark ist die Personalfunktion mit diesem Wandel verknüpft. Zwei aktuelle Entwicklungen zeigen, warum sich die Rolle des Personalmanagements in Richtung Organisationsentwicklung öffnen muss.

Organisationen erfolgreich zu leiten, ist längst eine multiprofessionelle Disziplin. Denn nur so können Unternehmen die vielfältigen Anforderungen der Umwelt (wie Marktveränderungen, Regulatorien, öffentlicher Diskurs oder technologische Sprünge) in der gebotenen Geschwindigkeit beherrschen. Das wissen auch Personalverantwortliche. Sie suchen T-shaped Persönlichkeiten (Michael W. Busch 2009) und sorgen für Formen der interdisziplinären Zusammenarbeit in ihren Organisationen.

Diese Entwicklung hat auch Implikationen für die eigene Rolle: Der Rückzug auf das eigene Spezialgebiet, auf reine Personalthemen ist nicht mehr zeitgemäß. Personalmanager:innen benötigen ein Verständnis für die Wettbewerbsstrategien, die Produkttechnologie und für relevante Stakeholder:innen jenseits von Betriebsrätinnen, Bewerbenden und Mitarbeitenden. Für die Zukunftsfähigkeit der Organisation ist jedoch ein weiteres Feld zu beachten, für das vielfach niemand – oder alle und damit oft wiederum niemand wirklich – zuständig ist: die Gestaltung der Organisation selbst, mit ihren harten und soften Aspekten. Weil Reaktions- und Lernfähigkeit entscheidend geworden ist, wird das „Betriebssystem der Organisation” zum Schlüsselfaktor für zukünftigen Erfolg.

Die Organisation zu entwickeln, ist für das Personalmanagement Herausforderung und Chance zugleich: Herausfordernd ist diese Aufgabe, weil Personalvorhaben verpuffen, wenn sie nicht mit Veränderungen auf der Organisationsebene einhergehen. Zugleich sind OE-Projekte eine Chance, weil Personalist:innen oft zentrale Kompetenzen mitbringen, die für Fragestellungen der Organisationsentwicklung hilfreich sind. Auf Basis dieser Skills und Erfahrungen können sie Vorschläge zum Organisationsdesign machen und in einer moderierenden Rolle das Zusammenspiel anderer Manager:innen und Expert:innen zum Erfolg führen.

Dies gilt vor allem dann, wenn wir Organisationsentwicklung breiter verstehen als nur im Sinne einer Humanisierung der Arbeit (siehe Infobox). Wenn die Organisationsentwicklung dazu dient, Organisationen zukunftsfähig zu machen, nimmt sie sowohl organisatorische Leistungseffizienz (ökonomische Ziele) als auch Potenziale zur individuellen Bedürfnisbefriedigung (individual-soziale Ziele) in den Blick.

Die dafür erforderlichen Fähigkeiten beschreibt Dave Ulrich, der auf Basis von mehreren globalen Befragungen – neben dem bekannten Businesspartnerkonzept – ein Kompetenzmodell für Personalmanager:innen entwickelt hat. Ulrich hat mit seinem Team über viele Jahre hinweg erhoben, welche Beiträge Personalverantwortliche (Selbstbild) und ihre internen Kund:innen (Fremdbild) als besonders relevant erachten. Konstant zeigt sich, dass die Fähigkeit, Veränderung zu initiieren und aufrechtzuerhalten eine Schlüsselkompetenz für Personalmanager:innen ist (Ulrich et al. 2012). „Change Champion” ist eine der sechs erforderlichen Kompetenzbündel, um die Organisation in ihrem Umfeld zukunftsfähig zu machen und zu halten.

Warum ist es nun für die Personalarbeit wichtig, die Organisationsperspektive mitzudenken? Schon Kurt Lewin hat es auf die Formel gebracht: Verhalten ist eine Funktion von Person und Umwelt: V = f (P,U). Dabei sind Person und Umwelt wechselseitig abhängige Größen. Der Kontext der Organisation hat also einen wesentlichen Einfluss auf das gezeigte Verhalten der Mitarbeitenden. Darum reicht es nicht alleine aus, geeignete Personen auszuwählen, zu trainieren oder zu coachen, um erwünschte Leistung zu ermöglichen. Vielmehr sind auch formale Aspekte (Strukturen, Prozesse) und informale Eigenschaften wie die Organisationskultur oder psychologische Sicherheit (Amy C. Edmondson 2020) zu beachten und weiterzuentwickeln. Sonst tritt der Fall ein, dass sorgfältig rekrutierte Führungskräfte oder Mitarbeiter:innen ihr Potenzial nicht abrufen können oder die Personalentwicklung nicht die gewünschte Wirkung erzielt.

// Organisationsentwicklung
Organisationsentwicklung beschreibt geplanten organisatorischen Wandel. Der Begriff wurde ursprünglich ergänzend zur betriebswirtschaftlichen/ökonomischen Perspektive verstanden. Historisch wurde er wesentlich von sozialpsychologischen Autoren wie Kurt Lewin und Ed Schein geprägt und war Teil der Humanisierungsbewegung. Daher haftet dem Begriff vielfach auch heute noch der Geschmack der „Gegenpendel-Bewegung” zum Primat der Ökonomie an.

Die Humanisierungsbewegung hatte das bis dahin in der Betriebswirtschaftslehre vorherrschende mechanistische Bild von Organisationen um soziale Faktoren erweitert, die inzwischen jedoch im Standardrepertoire der Management-Lehrgänge Aufnahme gefunden haben. Insofern lässt sich das Gebiet der Organisationsentwicklung heute breiter verstehen, es beinhaltet wirtschaftliche und soziale Aspekte. Im Zuge der Nachhaltigkeitsdebatte werden nun auch immer stärker Beziehungen zu Stakeholder:innen mitgedacht.

Gerade für die Personalfunktion ist es wichtig, nicht zu einseitig auf die People-Faktoren zu fokussieren und dabei andere unternehmerische Aspekte außer Acht zu lassen beziehungsweise sich zu diesen nicht einzubringen. Es gilt, Organisationsentwicklung im breiteren Sinne zu verstehen, die bewusste Gestaltung aller relevanten Dimensionen der Organisation im Blick zu halten, mit der Zielsetzung, die Zukunftsfähigkeit zu befördern.


Der „Change Champion” nimmt sich der Gestaltung der Rahmenbedingungen an und unterstützt die Organisation dabei, auf geänderte Anforderungen rasch und wirkungsvoll zu reagieren. Betrachten wir dazu zwei aktuelle Handlungsfelder, mit denen sich Organisationen konfrontiert sehen: die Virtualisierung der Zusammenarbeit und die Agilisierung.

  1. Virtuelle Zusammenarbeit
    Kaum ein Thema hat die betrieblichen Abläufe von Organisationen so durcheinandergewirbelt wie die Covidpandemie – und wie hätten wir diese Krise ohne digitale Tools gemeistert? Es war beeindruckend, wie rasch Organisationen sich an Anforderungen angepasst und Lösungen integriert haben, die zuvor über Jahre als nicht abbildbar beschrieben wurden: So haben manche IT-Abteilungen wochenlang nichts anderes getan, als Laptops für Mitarbeiter:innen aufzusetzen, die bislang nur über Standrechner im Büro verfügten. Software-Applikationen wurden für die gesamte Belegschaft eingekauft, auf Datensicherheit überprüft, für den Einsatz zugelassen. Mitarbeiter:innen haben sich innerhalb von wenigen Tagen neue Programme erschlossen, um virtuell zu kollaborieren.

    Doch neben der nicht zu unterschätzenden Leistung, den Betrieb fast nahtlos fortzuführen, sind auch Nebenwirkungen zu beobachten: Mitarbeiter:innen berichteten von Entfremdung, einer Abnahme der sozialen Bindung, Führungskräfte befürchteten, dass Mitarbeitende weniger gut kontrolliert werden können; die Aufhebung der örtlichen Trennung zwischen Berufs- und Arbeitswelt im Homeoffice führte erwartungsgemäß zu neuen Herausforderungen im Zeit- und Selbstmanagement und in Folge bisweilen zu Überforderungssituationen.

    Technische und arbeitsorganisatorische Veränderungen werfen also neue Problemstellungen in den Bereichen Führung und Organisationskultur auf. Die Perspektive der Personalentwicklung allein ist hier jedoch nicht ausreichend, da die sozialen Systeme neu kalibriert werden müssen. Dies zeigt sich auch nach dem Abklingen der Pandemie, wenn nun das „New Normal” geregelt werden muss: Wie viele Tage sollen Angestellte mindestens vor Ort tätig sein? Was ist gerecht gegenüber Arbeiter:innen in der Produktion? Was ist mit Mitarbeitenden, die in der Pandemie ihren Wohnort verlegt haben? Wie bedeutsam sind Meetings in Präsenz für Teams (Kultur, Arbeitsbeziehungen, Konfliktbearbeitung, Innovation)? Und wie viel an Präsenz wollen wir von Mitarbeitenden einfordern, auch wenn sich dann vielleicht einzelne entschließen, das Unternehmen zu verlassen? Wie verändert sich Führungsverhalten in diesem Zusammenhang? Wie halten Führungskräfte den Kontakt zu Teammitgliedern und auf welchen Wegen lässt sich mehr Selbstorganisation etablieren?

    Viele solcher Fragestellungen beschäftigen aktuell Personalverantwortliche und liegen doch nicht alleine in ihrer Verantwortung. Vielmehr geht es um die Ausgestaltung des psychologischen Vertrags (Chris Argyris 1960) sowohl zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften als auch zwischen Peers. Das Etablieren des „New Normal” umfasst Governance-Aspekte, Kompetenzentwicklung (zum Beispiel Führungsskills), Arbeit an der Unternehmenskultur, Moderation von Aushandlungsprozessen auf Organisations- und Teamebene sowie vieles mehr.

    Personalverantwortliche können hier Lösungsoptionen und Frameworks zur Verfügung stellen, für die Verknüpfung zu Personalthemen im engeren Sinn (wie zum Arbeitsrecht) Sorge tragen, Konfliktlösung und Entscheidungsprozesse moderieren und mittels Dialogformaten Akzeptanz für Veränderungen befördern.

  2. Agilisierung
    Die Digitalisierung führt aber nicht nur zu flexiblen Arbeitsstrukturen, in denen Mitarbeitende frei entscheiden können, von welchem Ort sie ihre Arbeit erledigen (Homeoffice, Workation). Sie vernetzt auch Menschen, Maschinen und Güter in unbekanntem Ausmaß und hoher Geschwindigkeit bis hin zur Echtzeit – über Bereichs- und Organisationsgrenzen hinweg. So wurde die Kommunikationskaskade von Führungsebene zu Führungsebene vielerorts durch innerbetriebliche Chat-Kanäle und Foren abgelöst. Die Digitalisierung führt allgemein zu einer Beschleunigung und stellt höhere Anforderungen an die Reaktionsfähigkeit von Unternehmen.

    Dadurch gerät die funktionale Managementhierarchie mit ihrer Silostruktur in die Kritik, nicht ausreichend schnell antworten zu können und durch Statusunterschiede offene Kommunikation zu behindern. Organisationen reagieren auf diese Problematik, indem sie alternative Formen der Zusammenarbeit etablieren: agile Teams, Netzwerkorganisationen, Holacracy oder Soziokratie. Ihnen allen ist ein höheres Maß an Selbstorganisation gemein, um die gewünschten Effekte (raschere Anpassungsfähigkeit, Innovationskraft, Nutzung der Potenziale der Mitarbeitenden) zu realisieren.

    In der Praxis zeigt sich aber, dass Selbstorganisation nur gedeihen kann, wenn wir die Organisation in mehreren Dimensionen transformieren. Einzelne Veränderungen reichen nicht aus, ganz egal, ob sie bei Strukturen (zum Beispiel neuen Führungsrollen), den Kompetenzen der Mitarbeitenden (zum Beispiel agilen Grundlagentrainings) oder den Prozessen (zum Beispiel dem Einführen von OKRs) ansetzen. Nur und ausschließlich durch die Kombination mehrerer Ansätze gelingt der Wandel hin zu einer agilen, selbstorganisierten Organisation.

    Der Personalbereich hat hier eine erfolgsentscheidende Rolle, da er Vereinbarungen und Prozesse ausgestaltet – zum Beispiel in Form von Stellenbeschreibungen, Rekrutierung, Personalentwicklungsprogrammen oder dem Steuern von Personalressourcen. Diese Instrumente sind notwendig, aber nicht hinreichend, um eine agile Organisation zu etablieren. Die Erfahrung zahlreicher Transformationsprozesse zeigt, dass wir auch die Aufbau- und Ablauforganisation entsprechend weiterentwickeln müssen: Anstelle der konventionellen Managementhierarchie verankern einige Unternehmen schon selbstorganisierte Teams, Kreise (Brian Robertson 2016) oder Flight Levels mit entsprechenden Entscheidungsbefugnissen in der Governance. Prozesse wie Planung, Budgetierung oder Projektfreigabe müssen dem Prinzip der verteilten Autorität Rechnung tragen (Klaus Leopold und Siegfried Kaltenecker 2023).

    Die Fachexpert:innen (wie Personal, Controlling, Einkauf) sind gefordert, in einen Dialog zu treten und ihre Prozesse nach den Prinzipien der Selbstorganisation (siehe Webtipp) auszugestalten. Zentral sind auch Führungsprozesse wie Zielvereinbarungen, die es der Organisation erlauben, von „Push“ auf „Pull“ umzustellen – um Teams zu ermöglichen, echte Verantwortung für die eigene Performance zu übernehmen (Klaus Leopold, Kanban in der Praxis, 2017).

    Wir sehen hier eine Herausforderung, aber auch eine Chance für Personalmanager:innen, Fragestellungen wie Virtualisierung oder Agilisierung aufzugreifen, Reflexion auf der Managementebene zu initiieren und die weitere Vorgehensweise gemeinsam auszugestalten.

Der Weg in die „Change Champions League”

Je nach Ausgangslage kann der nächste Schritt darin bestehen, Transformationskompetenzen im Personalbereich aufzubauen. Mögliche Schritte in diesem Zusammenhang sind:

  • Ausbildungen für Mitarbeitende aus dem Personalbereich initiieren: Trans-formations-Skills, Umgang mit Konflikten, agile Methoden …
  • Transformationsprojekte professionell aufsetzen, kompetente Begleiter:innen einladen, von ihnen „on the Job” lernen, interne Transformationsteams etablieren
  • Relevante Zukunftsthemen im Personalbereich umsetzen, zum Beispiel agile Tools, virtuelle Kollaboration oder psychologische Sicherheit, um Umgang mit Unsicherheit einzuüben und anschließend Kompetenz im Unternehmen zur Verfügung stellen zu können – um so in die Rolle des „Trusted Advisors” hineinzuwachsen.

Eat your own dog food!

Um die Organisation glaubwürdig und effektiv bei Transformationsvorhaben unterstützen zu können, ist es von Vorteil, diese Veränderungsschritte nicht nur mitzugehen, sondern sogar immer wieder einen Schritt voraus zu sein. Dafür müssen Personalverantwortliche neue Ansätze erlernen, anwenden und herausarbeiten, worin jeweils die Chancen und Herausforderungen für die eigene Organisation liegen könnten. Erst im nächsten Schritt lässt sich dieses Wissen dann anderen zur Verfügung stellen. So gelingt es dem Personalbereich, die Zukunft des Unternehmens mitzugestalten, über die eigenen Prozesse hinaus: „The best way to predict the future is to invent it” (Alan Kay 1971).

AUTOR
Matthias Lang

Evolutionary Catalyst, dwarfs and Giants

QUELLEN

  • T-Shaped Skills – Der Spezialist mit überfachlichen Antennen. Von Michael W. Busch. In: Zeitschrift für OrganisationsEntwicklung, 4/2009, S. 73-80.
  • Die angstfreie Organisation: Wie Sie psychologische Sicherheit am Arbeitsplatz für mehr Entwicklung, Lernen und Innovation schaffen. Von Amy C. Edmondson. Vahlen 2020.
  • Kanban in der Praxis. Vom Teamfokus zur Wertschöpfung. Von Klaus Leopold. Hanser 2017.
  • Holacracy: Ein revolutionäres Management-System für eine volatile Welt. Von Brian J. Robertson. Vahlen 2016.
  • HR from the Outside In: Six Competencies For the future of Human Resources. Von Dave Ulrich. McGraw-Hill Professional 2012.
  • Understanding organizational behavior. Von Chris Argyris. 4. Aufl. Dorsey Press 1960.
  • Flight Levels – Organisationen mit Business-Agilität führen. Von Klaus Leopold und Siegfried Kaltenecker. dpunkt.verlag 2023.

Zum ersten Mal erschienen in der Fachzeitschrift personal manager Ausgabe 3/24